Dienstag, 28. Januar 2014

Das Verborgene hinter den Sätzen - ein ganzes Leben


9.15 Uhr im ICE 208 in Richtung Berlin. Gute vier Stunden später aussteigen, Haltestelle Hauptbahnhof Naumburg an der Saale. Gedanken nachhängen, sammeln, notieren. 

Gerade geht es nach einem kurzen Wochenende am Schreibtisch in München zurück an die Saale, nach Naumburg. Dort werden wir am Nachmittag die Proben zu meiner Inszenierung "Das Herz eines Boxers" von Lutz Hübner fortsetzen.

Die ersten Probetage sind sehr konzentriert und mit der eingehenden Beschäftigung mit den beiden Figuren Leo und Jojo abgelaufen. Zusammen mit den Schauspielern entwickelte ich für jede Rolle eine ganz genaue, detailierte Lebensbiografie bis zum Beginn des Stücks. Aufbauend auf den Text von Lutz Hübner schälte sich für beide Figuren (und auch für die Schauspieler) eine spannende und für die "Geschichte hinter der Geschichte" Biografie heraus. Beide Biografien werden sich natürlich während des Probenprozesses weiterentwickeln: durch die tägliche Probenarbeit erforschen die Schauspieler weitere Details der Rolle. Entscheidungen und Ideen, die sie für die Figur vorab getroffen haben, werden  geändert, angeglichen oder auch verworfen. Sicherlich wird sich aber auch vieles bestätigen und festigen. Ein spannender Probenprozess hat begonnen.

Gerade bei einem solchen Stücktext wie von Herz eines Boxers ist es wichtig ein solches "Fundament" für die Rollen zu haben. Ich erkenne immer mehr in meiner Arbeit, wie wichtig die Frage aller Fragen für Schauspieler und Regisseure ist: "Woher kommt die Figur?" Woher komme ich?" "Was habe ich bisher in meinem Leben gemacht?" "Was hat das Leben mit mir gemacht?" Schlussendlich wirkt sich die Vergangenheit, das Erlebte immer auf den Moment, auf den Augenblick aus. Auf das HIER und JETZT. Ohne erlebte Vergangenheit ist für die handelnde Rolle keine Zukunftsvision möglich. "Wohin will ich?", eine ebenfalls existenziell wichtige Rollenfrage, die sich die Schauspieler und Regisseure zwangsläufig bei der täglichen Probenarbeit immer wieder aufs Neue stellen müssen.

Der Text von Lutz Hübner ist auf dem ersten Blick klar, deutlich und scheinbar ohne Geheimnisse geschrieben. Er sagt alles, was gesagt werden muss. Es steht alles drin, was der Schauspieler bzw. der Regisseur auf dem ersten Blick wissen muss. Was verbirgt sich aber hinter diesen einfachen, klar formulierten Sätzen? Wenn man sich dieser Frage annimmt, entdeckt man wie so oft bei guten Theaterstücken einen ganzen Kosmos an Möglichkeiten für Interpretationen. In meiner Arbeit geht es mir immer um das Verborgene hinter den Sätzen. 


Soheil Boroumand (Jojo) und Holger Vandrich (Leo), teilweise in Probekostümen.

Mittwoch, 15. Januar 2014

Was bleibt denn?

"Ich habe seinen Blick noch immer vor Augen, 
ich habe ihn sehr bewundert und war berührt, als ich ihn traf".
(Boxer Luan Krasniqi, in einem Interview über Max Schmeling)


Erste Gedanken zu "Das Herz eines Boxers" 


Das Stück „Herz eines Boxers“ wird im Februar 2014 zum ersten Mal in Naumburg am dortigen Theater zu sehen sein. Ein in den vergangenen Jahren viel gespieltes Stück von Lutz Hübner, welches die Generationen gleichermaßen berührt und zentrale Themen wie Respekt und Akzeptanz, das Altern und das Jung sein in den Fokus stellt. 

Auch in meiner Inszenierung am Theater Naumburg umkreisen wir natürlich diese Themen, der ich gerne die Frage nach dem WAS BLEIBT DENN? als Leitgedanken voranstellen möchte und so vielleicht auch einen weiteren gedanklichen Aspekt innerhalb des aktuellen Spielzeitmottos WELTKULTURERBE des Theaters Naumburg überprüfen.

Wir erzählen die Geschichte von Leo, dem Boxer und Jojo, einem 16jährigen Halbstarken, der seine Sozialstunden ableisten muss, im Irgendwo, Ende der 60er Jahre. Der Raum ist nicht definiert. Zeitlos. Raumgebend für die Phantasie der Zuschauer.

Leos Karriere als Boxer ist schon lange zu Ende. Ohne eine Lebensaufgabe hat er sich in eine innere Emigration zurückgezogen; er will nur noch seine Ruhe haben. Kapselt sich von seiner Umgebung ab. Sich befreiend von Bevormundung und Diskriminierung des Alterns streckte er sogar mit einem Faustschlag einen Pfleger im Altenheim nieder. Die letzte Station: die "Geschlossene". Er vereinsamt. Mehr in der Vergangenheit lebend, als in der Gegenwart. Er sitzt zu Beginn des Stücks in einem Berg voller Umzugskartons. In den Schachteln hortet er sein ganzes Leben, Erinnerungsstücke an eine längst vergangene Zeit: die großen Erfolge als Boxer bei Turnieren und als Preisboxer im Zirkus. Sein Überleben als „roter Leo“ in der dunklen Zeit des Nationalsozialismus. Zeugnisse seines Lebens.

Jojo, 16jährig, der noch lieber Kind wäre, als heranreifender Erwachsener. Um sich vor einem Mädchen interessant zu machen, nimmt er den Mofadiebstahl des Cliquen-Anführers auf sich und muss jetzt dafür die verhängten Sozialstunden ableisten. Er soll Leos Zimmer renovieren und neu anstreichen. Mit Großmäuligkeit versucht Jojo seine Unsicherheit gegenüber dem stummen Leo zu überspielen. Immer mehr lässt Leo Jojos Provokationen und Demütigungen durch sein Schweigen ins Leere laufen. Jedoch zeigt sich sehr bald, dass sich bei Jojo hinter der rauhen Schale ein weicher Kern verbirgt. Und so schafft es Jojo seinerseits im Laufe des Stücks immer mehr zu dem abweisenden, in sich gekehrten Leo vorzudringen.

Jojo wird in unserer Geschichte das Zimmer nicht streichen, sondern die Umzugskartons ordnen und neu aufrichten, so dass am Ende eine mögliche Zukunftsvision für beide, Leo und Jojo, entsteht. Das Leben beider erhält dadurch eine neue Struktur. Beide übernehmen Verantwortung für einander. Beide bestärken sich in ihren Hoffnungen und Träumen. Leo gibt seinen Mut, das Herz eines Boxers, an Jojo weiter, wie er auch seine Erinnerungen und Lebenserfahrungen als ERBE ihm überlässt. Und Jojo zeigt Leo, dass man für einen Neuanfang nie zu alt ist.  








Am Anfang steht das Stück

Das Herz eines Boxers
von Lutz Hübner

Jojo ist 16 Jahre alt und in seinem Leben läuft es gerade nicht so toll. Er ist, wie die Erwachsenen sagen würden, "auf die schiefe Bahn geraten". Als er auch noch die Strafe für den Boss seiner Clique übernimmt, verhöhnen ihn die anderen obendrein und beschimpfen ihn als Idioten. Und sonst? Eine Freundin hat er natürlich auch nicht. Als das Gericht ihn dazu verurteilt, in einem Altenheim Dienst zu tun, wendet sich sein Schicksal. Dort trifft er auf den ehemaligen Preisboxer Leo. Während Jojo die Wände streicht, scheint Leo zunächst nur stumm herumzusitzen. Doch bald schon kommen sie ins Gespräch und es entwickelt sich eine Beziehung zwischen den beiden. Ohne sentimentale Gefühle nimmt Leo sich des Schicksals von Jojo an und verwirklicht sich selbst einen letzten Traum, von dem er gar nicht mehr zu träumen wagte. Eine anrührende Geschichte, die das Generationenthema mit dem wachsenden Problem vieler, am Rande der Gesellschaft zu stehen, verbindet. (Quelle Text: Theater Naumburg)



Montag, 13. Januar 2014

Die erste Runde wird eingeläutet

Heute erster Probetag von "Das Herz eines Boxers" von Lutz Hübner am Theater Naumburg. In zwei Stunden gehts los. Die Spannung steigt. Es ist wie erster Schultag: die Nacht kaum geschlafen, unruhig, nervös. Gespannt auf das, was kommen wird. Zum ersten Mal werde ich an einem anderen Haus, mit einer anderen, mir noch nahezu unbekannten Truppe arbeiten. Stadttheater! Wie wirds sein? Was wird anders sein, zum Unterschied in der freien Szene? Gibts überhaupt einen Unterschied? Mache ich einen Unterschied in der Arbeit? Die beste Voraussetzung: neugierig zu sein und zu bleiben.Und das bin ich! Halte es kaum noch aus. Von mir aus können wir gleich loslegen. (Außerdem treibt mich die Lust auf frischen Kaffee aus dem Haus ... Die Vorratsschränke in der Theaterwohnung sind noch ungefüllt, der Kühlschrank leer.)  In den nächsten Wochen möchte ich versuchen, meine Eindrücke, mein Arbeiten am "Herz eines Boxers" im Theater Naumburg zu dokumentieren, festzuhalten. Es wird ein erster Versuch sein, ein öffentliches Arbeitsjournal zu führen. Ich würde mich freuen, wenn mich einige von Euch begleiten. Dieses Arbeitsjournal hat keinen Anspruch große Literatur zu sein. Es sollen einfache, aber interessante Notate werden. Notizen und Skizzen zum täglichen Arbeitsprozess bis zur Premiere.

Also, steigen wir in den Ring. Die erste Runde ist eröffnet.