9.15 Uhr im ICE 208 in Richtung Berlin. Gute vier Stunden später aussteigen, Haltestelle Hauptbahnhof Naumburg an der Saale. Gedanken nachhängen, sammeln, notieren.
Gerade geht es nach einem kurzen Wochenende am Schreibtisch in München zurück an die Saale, nach Naumburg. Dort werden wir am Nachmittag die Proben zu meiner Inszenierung "Das Herz eines Boxers" von Lutz Hübner fortsetzen.
Die ersten Probetage sind sehr konzentriert und mit der eingehenden Beschäftigung mit den beiden Figuren Leo und Jojo abgelaufen. Zusammen mit den Schauspielern entwickelte ich für jede Rolle eine ganz genaue, detailierte Lebensbiografie bis zum Beginn des Stücks. Aufbauend auf den Text von Lutz Hübner schälte sich für beide Figuren (und auch für die Schauspieler) eine spannende und für die "Geschichte hinter der Geschichte" Biografie heraus. Beide Biografien werden sich natürlich während des Probenprozesses weiterentwickeln: durch die tägliche Probenarbeit erforschen die Schauspieler weitere Details der Rolle. Entscheidungen und Ideen, die sie für die Figur vorab getroffen haben, werden geändert, angeglichen oder auch verworfen. Sicherlich wird sich aber auch vieles bestätigen und festigen. Ein spannender Probenprozess hat begonnen.
Gerade bei einem solchen Stücktext wie von Herz eines Boxers ist es wichtig ein solches "Fundament" für die Rollen zu haben. Ich erkenne immer mehr in meiner Arbeit, wie wichtig die Frage aller Fragen für Schauspieler und Regisseure ist: "Woher kommt die Figur?" Woher komme ich?" "Was habe ich bisher in meinem Leben gemacht?" "Was hat das Leben mit mir gemacht?" Schlussendlich wirkt sich die Vergangenheit, das Erlebte immer auf den Moment, auf den Augenblick aus. Auf das HIER und JETZT. Ohne erlebte Vergangenheit ist für die handelnde Rolle keine Zukunftsvision möglich. "Wohin will ich?", eine ebenfalls existenziell wichtige Rollenfrage, die sich die Schauspieler und Regisseure zwangsläufig bei der täglichen Probenarbeit immer wieder aufs Neue stellen müssen.
Der Text von Lutz Hübner ist auf dem ersten Blick klar, deutlich und scheinbar ohne Geheimnisse geschrieben. Er sagt alles, was gesagt werden muss. Es steht alles drin, was der Schauspieler bzw. der Regisseur auf dem ersten Blick wissen muss. Was verbirgt sich aber hinter diesen einfachen, klar formulierten Sätzen? Wenn man sich dieser Frage annimmt, entdeckt man wie so oft bei guten Theaterstücken einen ganzen Kosmos an Möglichkeiten für Interpretationen. In meiner Arbeit geht es mir immer um das Verborgene hinter den Sätzen.
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Soheil Boroumand (Jojo) und Holger Vandrich (Leo), teilweise in Probekostümen. |
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